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Ein ganz norMALER Wahnsinn – aus dem Alltag eines Malers

Bestimmt kennen Sie diese Tage auch, an denen Sie nicht nur auf mehreren „Hochzeiten tanzen“, sondern dabei auch noch gut und entspannt aussehen und charmant Konversation betreiben sollen. Diese spezielle Form des Multitaskings unter Extrem-Zeitdruck hat auch uns Handwerker seit einiger Zeit fest im Griff: Zwar sind unsere Hochzeiten Baustellen, und anstatt zu tanzen, bringen wir Farbe ins Leben. Was dabei allerdings immer mehr zur Regel wird, ist ein ganz norMALER Wahnsinn – zum Beispiel an Tagen wie diesen …
Das Wetter: es regnet. Die Aufgabe: Fassade streichen. Das Motto: Immer schön flexibel bleiben!
Wir befinden uns in einer ganz normalen Woche in der Übergangszeit vom Winter zum Frühling mit unbeständigem Wetter. Da das Wetter seit einigen Jahren eigentlich immer unbeständig ist, ist nicht nur die langfristige Vereinbarung von Terminen für Malerarbeiten im Außenbereich eine Lotterie, sondern auch die Leistungserbringung – wenn dann das Wetter im wahrsten Sinne des Wortes niederschlagend ist.
Der Grund: Bei Malerarbeiten im Freien sollte 4 bis 10 Stunden nach der Beendigung der Arbeiten trockenes Wetter vorherrschen, um Verfärbungen im Anstrich zu verhindern. Denn Farbe die nur angetrocknet, aber noch nicht durchgehärtet ist, neigt dazu Streifen zu bilden, wenn Regenwasser darüber läuft. Die Folgen: Glanzflecken und Schattierungen. Schlimmstenfalls wäscht sich die Farbe ganz ab.
Wie würden Sie sich nun entscheiden …
… zwischen einer ordentlichen Leistungserbringung und dem Einhalten einer Terminvereinbarung? Ich habe mich heute nicht getraut mit der Fassade zu beginnen. Der Fassadenkunde wurde benachrichtigt! Und wir haben umdisponiert: Frau XX wünscht sich einen neuen Look für ihr Wohnzimmer. Das passt heute wunderbar. Zunächst räumen wir dafür das Wohnzimmer von Frau XX aus, beginnen mit den ersten Malerarbeiten, und plötzlich …
… ist Draußen der schönste Sonnenschein. Das Telefon klingelt. Der Kunde, dem wir für heute den Anstrich seiner Fassade versprochen hatten, fragt wo wir bleiben. Wir diskutieren und haben Glück: Der Kunde zeigt Verständnis. Natürlich müssen wir jetzt das Wohnzimmer fertig streichen. Wir versprechen einen neuen Termin für den nächsten Tag. Wettervorhersage: vereinzelt Schauer. Motto: wird schon gutgehen. Übrigens: Während wir das Wohnzimmer gestrichen haben, war den ganzen Tag lang schönstes Wetter.
Nächster Tag. Treffpunkt 7:00 Uhr an der Werkstatt . Das Wetter: es regnet. Die Aufgabe: Fassade streichen. Mein Team: 8 Fragezeichen.
Um es kurz zu machen: Die Fassade ist nass. Um das Gerüst abzuhängen ist zu spät. War da nicht noch ein Treppenhaus bei Familie XY zu streichen? Geschätzte Dauer: 2 Tage. Kurzer Anruf ob wir da rein dürfen: alles OK, aber wenn wir schon anfangen, müssen wir die Arbeit auch zu Ende bringen. Verständlich. Für uns und den Kunden XY. Auch für den Kunden mit der Fassade? Mir ist mulmig. Und dennoch: Wir fangen mit der Arbeit im Treppenhaus an. Der Fassadenkunde ist verärgert. Ich verspreche wir kommen, wenn das Wetter passt.
- 10:30 Uhr: Die Sonne kommt raus.
- 11.00 Uhr: Der Fassadenkunde ruft an, und fragt wo wir bleiben
- 11:30 Uhr: Ich schicke 2 Leute zur Fassade, die anderen müssen das Treppenhaus fertig machen.
- 14:00 Uhr: Wir grundieren die Fassade mit Streichfüller.
- 16:00 Uhr: Feierabend. Die Fassade ist fertig grundiert.
- 17:00 Uhr: Gewitterwolken ziehen auf.
- 17:30 Uhr: Es regnet in Strömen.
- 17:45 Uhr: Der Fassaden-Kunde ruft an: Die Farbe habe sich wieder aufgelöst und das Pflaster vor dem Haus sei knallgelb von der Fassadenfarbe.
- lle meine Mitarbeiter sind schon zu Hause.
- 18:00 Uhr: Ich fahre mit dem Hochdruckreiniger zur Fassade und reinige die Hofeinfahrt.
- 21:30 Uhr: Endlich fertig: Das Pflaster ist wieder sauber, aber die Fassade muss nochmal gestrichen werden.
Am nächsten Tag. Die Aufgabe: Durch den Wind in der Nacht wurde die Abdeckfolie beschädigt, alle Fenster sind mit einem Grauschleier von der Fassadenfarbe überzogen, alles muss gereinigt werden.
Für uns bedeutet das: Mindestens 1 Tag zusätzliche Arbeit für 2 Leute! Dabei ist die Fassade noch immer nicht fertig gestrichen. Außerdem müssen noch 2 Angebote raus, Rechnungen geschrieben und eine Baustelle besichtigt werden.
Gut, dass wir flexibel sind! Nur das Wetter eben nicht. Das macht uns unglücklich – und auch den nächsten Kunden: Herr QQ ruft an und fragt, wann er genau mit den Handwerkern rechnen könne? Ein fester Termin sei für den kommenden Montag vereinbart. Ich erwähne kurz das Wetter, und erfahre diesmal kein Verständnis: „Sie haben uns im Herbst fest zugesagt, dass die Fassade in der ersten Maiwoche gestrichen wird!“
Ich gebe mein Bestes und erkläre, dass wir aufgrund des unbeständigen Wetters auch in den letzten Tagen Treppenhäuser gestrichen hätten, und dass wir Fenster und Pflastersteine reinigen mussten. So leid es mit tut: Wir können nicht termingerecht anfangen. Mein Kunde ist verärgert. Die Arbeit müsse unbedingt fertig werden! Die Oma komme zu Besuch!
Ich bin untröstlich,
… aber eben auch nur ein Handwerker, der seinen Job liebt, und ihn gerade deshalb einfach gut machen will. Wenn es geht. Und ich bin froh, dass ich heute auf keine Hochzeit mehr gehen muss. Ich wäre viel zu müde, um zu tanzen.
Ihr Jürgen Beil